Covid-19: Die zweite Welle in Europa
In den vergangenen Wochen sind die Zahlen der Neuinfektionen an Covid-19 stark angestiegen. Die sogenannte zweite Welle hat Europa erfasst. Das führt einerseits zu neuerlichen verschärften Maßnahmen – andererseits lässt dies Auswirkungen auf die Finanzmärkte vermuten. Inwiefern dies stimmt, erläutern wir in diesem Beitrag.
Erholungsdynamik der Volkswirtschaften lässt weiter nach
In den meisten Volkswirtschaften der Welt setzt sich die wirtschaftliche Erholung fort. Mit weiterhin abnehmender Dynamik. In China hat die Industrieproduktion bereits im zweiten Quartal wieder das Niveau vor Covid-19 erreicht. In den USA und in der Eurozone hingegen dürfte dies noch etwas dauern. Noch deutlich schlechter sieht es beim Dienstleistungssektor aus.
Für die Gesamtwirtschaft rechnet man seitens der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Eurozone erst für Ende 2022 mit einer Wirtschaftsleistung, die dem vor der Pandemie entspricht. Seitens der US-Notenbank Fed wird für die kommende Sitzung keine Änderung der Geldpolitik erwartet. Es könnten sich jedoch in der „forward guidance“1 erste Elemente aus der kürzlich kommunizierten veränderten Inflationsstrategie der Fed wiederfinden. Diese will ja künftig auch ein längeres moderates Überschießen der Inflationsrate über ihren Zielwert tolerieren. Zugleich wurde das gesamtwirtschaftliche Arbeitsmarktziel komplexer definiert.
Zweite Welle von Covid-19 in Europa
In Europa ist die vielbeschworene zweite Welle der Covid-19-Pandemie jetzt angekommen. Währenddessen wird man in den USA kaum der ersten Welle Herr. Fast überall in Europa ziehen die Zahlen der bestätigten Neuinfektionen markant an. In Spanien oder Frankreich liegen sie bereits über den Werten der ersten Welle vom Frühjahr.
Einzuschränken ist jedoch, dass diese Daten nicht 1:1 vergleichbar sind. Es werden sehr viel umfangreichere, schnellere und genauere Tests durchgeführt. Das bedeutet, dass die Dunkelziffern nicht erfasster Infizierter heute vermutlich sehr viel kleiner sind als im Frühjahr. Zum damaligen Zeitpunkt wurden fast nur die offensichtlich Erkrankten getestet. Daher zeigt heute auch ein sehr viel größerer Anteil der Getesteten als im Frühjahr schwache oder gar keine Symptome der Krankheit.
Zudem sind inzwischen die Behandlungsmethoden stark verbessert worden. Die Sterberaten sind generell erheblich geringer als zu Beginn der Pandemie befürchtet. Dennoch besteht kein Anlass für ein entspanntes Zurücklehnen. Denn zum einen laufen die (bislang noch relativ niedrig bleibenden) Todesfälle den Infektionen rund vier Wochen nach. Und zum anderen bleibt das Eindämmen des Multiplikators der Infektionen (der vielzitierte R-Wert) entscheidend.
Der Umgang mit den steigenden Infektionszahlen
Viele Länder haben ihre Gegenmaßnahmen, Reisebeschränkungen und Kontakteinschränkungen zuletzt wieder deutlich verschärft. Am extremsten ist dies in Israel der Fall. Dort wurde ein kompletter dreiwöchiger Lockdown verkündet. Die Todesfallzahlen würden eine solch drastische Maßnahme (noch) nicht nahelegen. Spitäler und Gesundheitspolitiker im Land fürchten aber ein explosionsartiges Ausbreiten der Pandemie, sollte jetzt nicht drastisch gegengesteuert werden.
Ob und inwiefern großflächige Lockdowns auch in Europa zurückkehren werden, lässt sich gegenwärtig nicht absehen. Wirtschaftlich und politisch wären diese sehr schwierig. Vermutlich wird man sie nach Möglichkeit allenfalls regional begrenzt und möglichst kurz verhängen. Sie bleiben aber als drastische Notfallmaßnahme eine Handlungsoption, lässt sich der R-Wert anders nicht reduzieren.
Zur Erinnerung: Ohne jegliche Maßnahmen liegt er für Covid-19 bei ca. 2,5. Angestrebt werden Werte von maximal eins oder knapp darüber. In Ländern wie Spanien, Frankreich, Großbritannien oder auch Österreich liegt er inzwischen wieder bei ca. 1,2 bis 1,3.
Impfstoffe gegen Covid-19: viele Bemühungen, aber insgesamt wenig Neues
Ein wirksamer Impfstoff würde die Situation grundlegend verbessern. Für den 22. Oktober wird erwartet, dass die US-amerikanische FDA einen oder mehrere Impfstoffe im beschleunigten Verfahren zulässt. Trotz bereits erfolgter erheblicher Vorarbeiten wird es danach aber noch dauern, bis diese in größeren Mengen verfügbar sein werden. Voraussichtlich erst im ersten Quartal 2021. Der Hersteller mit den derzeit höchsten bereits installierten Fertigungskapazitäten (rund zwei Milliarden Dosen) ist Astra Zeneca. Allerdings gehört deren Impfstoff, basierend auf den bisherigen Tests und Studien, nicht zu den aussichtsreichsten Präparaten.
Rätselraten und teils große Skepsis (vor allem im Westen) herrscht weiterhin gegenüber dem in Russland bereits im August zugelassenen Impfstoff „Sputnik V“. Dessen Phase-3-Test ist vor wenigen Tagen angelaufen. Etwas, das normalerweise vor einer Zulassung erfolgt bzw. erfolgen sollte. Einige westliche Wissenschaftler haben statistische Anomalien in den von Russland veröffentlichten Daten ausgemacht. Ihrer Einschätzung nach deuten diese auf Fehler oder Manipulationen hin. Die russischen Entwickler weisen dies zurück. Mehr Klarheit werden wohl nur die Phase-3-Resultate bringen. Es ist zwar relativ wenig wahrscheinlich, aber trotzdem durchaus möglich, dass die beobachteten Anomalien der geringen Zahl an Probanden in den ersten Testphasen geschuldet waren. Vorschnelle Urteile in die eine oder andere Richtung sind daher wenig hilfreich.
Finanzmärkte und Covid-19
Für die Finanzmärkte scheint Covid-19 in den letzten Wochen an Relevanz verloren zu haben. Rückschläge bei Impfstoffen, wie vor wenigen Tagen bei Astra Zeneca, führten kaum zu Marktreaktionen. Auch nicht die steigenden Fallzahlen in Europa (oder die anhaltend hohen Infektions- und Todesfälle in den USA und Lateinamerika). Der Grundkonsens scheint zu sein, dass irgendein Impfstoff wohl bald verfügbar ist. Und damit einhergehend Covid-19 spätestens binnen zwei bis drei Quartalen stark an Brisanz verlieren wird.
Vergegenwärtigen muss man sich, worauf die steigenden Aktienindizes fast überall zurückzuführen sind. Nämlich vor allem auf jene Unternehmen, die unter der Pandemie kaum leiden oder sogar davon profitieren. Demgegenüber haben sich viele zyklische Aktien vergleichsweise wenig erholt. Und die meisten davon preisen keineswegs schon wieder eine boomende Weltwirtschaft ein. Diese Diskrepanz zwischen den Sektoren erklärt auch die unterschiedliche Entwicklung mancher Indizes. Sehr viel von der relativ stärkeren Entwicklung großer US-Indizes (mit ihrem sehr viel größeren Gewicht von Technologiewerten) gegenüber Europa oder den Schwellenländern (die sehr viel mehr „old economy“-Unternehmen und Finanzaktien enthalten) ist darauf zurückzuführen.
Konsistent damit ist auch, dass die jüngste Korrektur bei den Highflyern in den USA fast spurlos am Rest der Welt vorüberging. Denkbar wäre im optimistischen Szenario, dass die Aktienmärkte jetzt eine Phase erhöhter Volatilität durchlaufen (nicht zuletzt dank der anstehenden US-Wahlen). Dabei kann sich auch ein Favoritenwechsel vollziehen. Weg von den bisherigen Highflyern (den inzwischen zumeist sehr teuren Technologiewerten), hin zu den bislang stark zurückgebliebenen, zyklischen Werten. Diese sollten von einer weltwirtschaftlichen Normalisierung besonders profitieren.
In einem weniger positiven Szenario erweisen sich die Impfstoffhoffnungen als zu ambitioniert. Es kommt neuerlich zu größeren volkswirtschaftlichen Einschränkungen. Die Märkte müssen einen Teil ihrer optimistischen Projektionen wieder auspreisen.
Freundliche Anleihen, wenig Kursbewegung
Recht wenig Bewegung gab es an den Anleihemärkten, dafür aber fast durchwegs leicht steigende Anleihekurse. Lediglich britische (Staats-)Anleihen stachen negativ heraus. Nachdem das lange Zeit kaum noch präsente Thema „Brexit“ zuletzt wieder akut wurde und die britische Seite und die EU vor einer neuerlichen Konfrontation stehen.
Minuszeichen gab es bei vielen Rohstoffen, speziell beim Ölpreis. Das reflektiert einerseits saisonale Muster (Ende der sommerbedingten höheren Benzinnachfrage) und andererseits die abnehmende weltwirtschaftliche Erholungsdynamik.
Durchaus passend in diesem Makrobild legte der US-Dollar wieder leicht zu, nachdem er sich im Sommer deutlich abgeschwächt hatte. Anzumerken ist allerdings, dass diese Schwäche vor allem gegenüber dem Euro auftrat. Gegenüber den Schwellenländerwährungen fand diese bislang kaum statt.
Taktische Positionierungen
Wir bleiben in Erwartung einer volatileren Marktphase in den Herbst hinein bei Aktien bei einer leichten Untergewichtung. Wobei diese regional vor allem in Nordamerika besteht.
Die Unternehmensergebnisse werden wohl erst im Frühjahr 2021 wieder positives Wachstum aufweisen. Neben zahlreichen technischen Indikatoren und Stimmungsumfragen – die auf eine überkaufte Marktsituation bzw. eine schon überhitzte Anlegerstimmung hinweisen – sind zuletzt auch die politischen Risiken wieder angestiegen.
Trotz der weiter stattfindenden Spreadeinengungen der letzten Monate bleiben wir bei Spread-Produkten (vor allem Unternehmensanleihen sowie Emerging-Markets-Anleihen in Hartwährung) stark übergewichtet. Wir behalten unsere Übergewichtung bei Euro-Investmentgrade, von Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen und von Euro-Peripherie-Staatsanleihen daher bei. Bei High-Yield-Unternehmensanleihen in US-Dollar stocken wir diese noch leicht auf. Hingegen werden globale Staatsanleihen (USA und andere nicht-EU-Länder) jetzt untergewichtet.
In Wir verraten, was es mit aktivem Fondsmanagement auf sich hat erfahren Sie übrigens mehr zum Thema Über- und Untergewichtung und unserem Verständnis von Management von Wertpapierfonds.
1 forward guidance: Darunter versteht man den längerfristigen Ausblick der Notenbanken hinsichtlich ihrer zukünftigen Vorgehensweise in Sachen Geldpolitik.
Dies ist eine Marketingmitteilung der Raiffeisen Kapitalanlage GmbH, Mooslackengasse 12, 1190 Wien. Stand/Erstelldatum: September 2020
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