Ist die Erholung an den Finanzmärkten nachhaltig?
In den meisten Staaten flaut die COVID-19-Pandemie inzwischen ab oder sie breitet sich zumindest nicht mehr mit wachsender Dynamik aus. An den Finanzmärkten verfestigt sich damit die Möglichkeit einer schrittweisen Rückkehr zu „normaleren“ weltwirtschaftlichen Szenarien. Auch wenn es für einige Branchen, etwa Flugwesen, Tourismus, Kultur- und Sportveranstaltungen, eine solche Rückkehr bis auf Weiteres wohl kaum oder nur sehr eingeschränkt geben wird. Welche Auswirkungen dies auf die einzelnen Kapitalmärkte hat erfahren Sie in den nächsten Zeilen.
Wichtige Marktbewegungen der letzten zwei Wochen im Überblick
- Erholungen an den Aktienmärkten verlieren an Schwung, weiterhin starke Unterschiede zwischen Branchen und Regionen
- Staatsanleihen USA und Euro-Kernländer wenig verändert; Unternehmensanleihen, Euro-Peripherie und Schwellenländer fester
- Ölpreis erholt sich weiter, Gold konsolidiert auf hohem Niveau
- Wirtschaftsdaten außerhalb Chinas durchwegs schlecht, teilweise noch unter den niedrigen Erwartungen
- Konflikt USA-China verschärft sich
- EU vor dem Einstieg in Schulden-Vergemeinschaftung?
Keine einheitliche Entwicklung der Aktienmärkte
Die Aktienmärkte zeigen sich regional und vor allem nach Branchen weiter extrem unterschiedlich. Die Erholung der letzten Wochen ist bei zyklischeren, konjunktursensitiven und von der Pandemie stark betroffenen Sektoren sehr viel schwächer ausgeprägt als etwa im Technologie- und im Healthcare-Bereich. Das zeigt sich sowohl zwischen, aber auch innerhalb der einzelnen Länder und Regionen. Beispielsweise in den USA: Nasdaq (+4 % seit Jahresbeginn) versus Russel 2000 (-19 %).
Zugleich wird deutlich, dass sich die Finanzmärkte keineswegs völlig von den realwirtschaftlichen Gegebenheiten abgekoppelt haben. Auch wenn ein bloßer Blick auf die großen US-Indizes Nasdaq oder S&P500 dies nahelegen könnte. In Europa endeten in den letzten Tagen die Leerverkaufsverbote in etlichen Ländern. In einigen Fällen wurde das offenbar auch sofort von Marktteilnehmer*innen zu neuen (Leer-)Verkäufen genutzt. In Österreich etwa war zu beobachten, dass ohne neue Nachrichten vor allem jene Aktien kurzzeitig stark abverkauft wurden, die sich in den Wochen seit Erlass des Leerverkaufsverbots besonders gut erholt hatten.
Anleihen, Rohöl und Gold
Staatsanleihen der Euro-Kernländer und der USA bewegten sich per Saldo wenig. Anleihen der Euro-Peripheriestaaten sowie Unternehmens- und Schwellenländeranleihen legten hingegen zu. Der Konkurs des traditionsreichen globalen Autovermieters Hertz zeigt zugleich, dass auch gewaltige Fiskalprogramme und Notenbankhilfen keine Garantien gegen Firmenpleiten und Anleiheausfälle bieten. Die Rohölpreise erholen sich weiter (+20 % in den letzten zwei Wochen). Gründe dafür gibt es mehrere: Die Lagerkapazitäten in den USA reichen wohl doch erst einmal aus, der Angebotsrückgang vollzieht sich scheinbar sehr schnell und China nahm offenbar große Mengen Öl (zu Ausverkaufspreisen) ab. Der Goldpreis hält sich recht stabil auf hohem Niveau.
Wirtschaftsdaten außerhalb Chinas weiterhin schwach
Die Konjunkturdaten fielen zuletzt fast überall sehr schlecht aus. Teilweise lagen sie noch unter den bereits sehr niedrigen Erwartungen. An den Finanzmärkten hakt man das bislang weitgehend ab und fokussiert sich stattdessen auf die kommende Erholung. China lieferte diesbezüglich gute und schlechte Nachrichten. Gute dahingehend, dass die chinesische Industrieproduktion fast schon wieder auf Vor-Corona-Niveau liegt. Schlechte insofern, als dass der fiskalische Stimulus (aktuell ca. 6,5 % – 8,5 % der jährlichen Wirtschaftsleistung) weiterhin zurückhaltender ausfällt als von den meisten erwartet bzw. erhofft wird.
Zudem verzichtet Peking erstmals seit Jahrzehnten sogar auf ein explizites Wachstumsziel für das heurige Jahr. Damit ist man nicht gezwungen „auf Teufel komm raus“ zu stimulieren, um bestimmte Zielwerte zu erreichen. Zudem darf dies als weiteres Indiz dafür gesehen werden, wie fragil und unwägbar die weltwirtschaftliche Situation ist. Man scheint sich auch deshalb in Peking einiges Pulver trocken halten zu wollen. Abgesehen davon, dass der Spielraum für weitere Schulden deutlich geringer ist als vor einem Jahrzehnt, verspürt man dort derzeit wohl auch geopolitisch wenig Neigung, abermals die ganze Welt aus dem Konjunkturtal zu stimulieren. Das gilt umso mehr, als die USA zuletzt ihren Konflikt mit China verbal kräftig eskalierten. Teils setzte sie auch schon neue Maßnahmen gegen chinesische Unternehmen. Dies lediglich als US-Wahlkampfgetöse oder reines innenpolitisches Ablenkungsmanöver abzutun, dürfte sich aller Wahrscheinlichkeit nach als ebenso kurzsichtig erweisen wie ähnliche Vorhersagen direkt nach Trumps Amtsantritt.
Noch keine Neueinschätzung der kurz- und mittelfristigen Situation an den Finanzmärkten
Vor zwei Wochen haben wir markttechnisch die meisten kurzfristigen Triebfedern für die starken Kurszuwächse seit März als weitgehend erschöpft angesehen (Nachzulesen in Die positive Entwicklung der Pandemie sorgt für steigende Aktienmärkte ). Die Seitwärtsbewegung seither scheint dies zu bestätigen. Auch die Volatilitäts-Indizes liegen bei Aktien, Anleihen und auch bei Öl in den USA in etwa dort, wo sie sich vor zwei Wochen befanden. Dass sie sich seither nicht stärker nach unten entwickelten, ist speziell beim kräftig erholten Öl bemerkenswert und ebenfalls ein Signal für weiter bestehende Kursrisiken.
Viel wird jetzt vor allem von zwei Faktoren abhängen. Zum einen: Bestätigen die Wirtschaftsdaten der kommenden Wochen einen beginnenden kräftigen weltwirtschaftlichen Turnaround? Den haben ja die Aktienmärkte bereits weitgehend eingepreist. Zum anderen: Wie schnell gibt es Fortschritte bei Behandlungen und/oder Impfstoffen für COVID-19? Bei Letzteren wechseln sich zuversichtlich stimmende Meldungen mit solchen, die den Optimismus wieder dämpfen, ab. Es gibt jede Menge vielversprechender Ansätze für Impfstoffe, aber per Saldo noch wenig, was einen raschen Durchbruch erkennen lässt. Die jüngsten Daten zur Behandlung von Erkrankten mit Gileads Remdesivir waren insgesamt eher enttäuschend.
Die Maßnahmen zur Reduktion des absoluten Risikos in all jenen Fonds und Portfolios, die maßgeblich von der Taktischen Asset Allocation gesteuert werden, bestehen weiterhin. Sie werden fortlaufend überprüft und in den nächsten Tagen steht auch die turnusmäßige monatliche Diskussion der Taktischen Asset Allokation an. Zu betonen ist dazu einmal mehr, dass die Risikoreduktion nicht so sehr aus einer Marktmeinung zur nächsten großen Marktbewegung entspringt. Vielmehr ist sie davon geleitet, dass in der aktuellen extremen Situation Kapitalschutz weiterhin Vorrang vor Ertragsmaximierung hat.
Einstieg in eine EU-Schuldenunion?
Frankreichs Präsident und die deutsche Bundeskanzlerin stellten ein EU-Wiederaufbauprogramm in Höhe von rund 500 Milliarden Euro vor. Das Geld dafür soll von der EU-Kommission am Kapitalmarkt aufgenommen und über den EU-Haushalt zum Teil als nicht rückzahlbare Zuwendungen verteilt werden. Vor allem an wirtschaftlich schwächere und besonders hart von der Krise getroffene Staaten.
Zwar sind diese Gemeinschaftsschulden damit fürs Erste auf einzelne konkrete Projekte bezogen und keine „Corona-Bonds“, wie ursprünglich etwa von Frankreich und anderen Ländern gefordert. Kritiker fürchten aber trotzdem einen Dammbruch und den faktischen „Einstieg in eine EU-Schuldenunion durch die Hintertür“. Ablehnung und Kritik kam vor allem aus Österreich, Schweden, Dänemark und den Niederlanden. Der Gegenentwurf dieser Gruppe will Kredite statt Zuschüsse und sicherstellen, dass das Ganze eine einmalige und zeitlich eng befristete Ausnahme bleibt. Welche Lösung am Ende gefunden wird, wird sich zeigen.
Dies ist eine Marketingmitteilung der Raiffeisen Kapitalanlage GmbH, Mooslackengasse 12, 1190 Wien. Stand/Erstelldatum: Mai 2020
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