Historischer Ölpreis-Crash in den USA
Der 20. April 2020 geht in die Geschichtsbücher ein: An der US-Terminbörse bekam man Rohöl nicht nur umsonst, sondern beim Kauf sogar noch Geld gezahlt – und das zum Teil reichlich. In der Spitze mussten einige Verkäufer über 30 US-Dollar pro Fass drauflegen, um ihr Öl loszuwerden. Das sehr stark von kurzfristigen Faktoren bedingte Extremereignis ändert die Lage auf den globalen Ölmärkten im Grundsatz vergleichsweise wenig. Es kann aber in den kommenden Wochen noch zu weiteren ähnlichen Turbulenzen kommen. Informationen zur Ölpreis-Problematik in diesem Beitrag.
Die Besonderheit im US-amerikanischen WTI-Öl-Future (WTI steht für West Texas Intermediate, eine Rohölsorte in den USA; ein Future ist eine börsengehandelte Form eines unbedingten Termingeschäfts) besteht darin, dass alle bestehende Positionen beim Verfall eines Kontraktes durch tatsächliche Lieferung bzw. Abnahme des Öls erfüllt werden müssen. An den meisten anderen Märkten wird lediglich die Preisdifferenzen finanziell ausgeglichen. Wer also einen WTI-Öl-Future am Ende des Verfalltages noch besitzt, muss unverzüglich die 1.000 Fass Rohöl pro Futureskontrakt physisch abnehmen. Am Lieferort in Oklahoma sind die Lagerkapazitäten jedoch nahezu erschöpft, da durch die Corona-Krise sehr viel weniger Öl verbraucht wird. Die US-Ölfirmen pumpen hingegen noch immer fast unvermindert Öl aus dem Boden.
Die Folge: Viele Investoren mussten den Kontrakt an jenem 20. April verkaufen, und das zu nahezu jedem Preis. Hinzu kommt, dass – wie in vielen Rohstoffmärkten – die meisten Akteure an den Öl-Futures-Märkten nicht daran interessiert sind, reales Öl zu kaufen, sondern lediglich von den Preisbewegungen profitieren wollen.
Problem Rohöl-ETFs
Das Problem wird aktuell durch börsengehandelte Rohöl-ETFs massiv verstärkt, in die in den USA in den letzten Wochen gewaltige Summen geflossen sind (zu deren Funktionsweise und wie sie zum Ölpreiscrash maßgeblich beitrugen: Exkurs siehe unten). Zudem sind gerade 24 Supertanker aus Saudi-Arabien mit wohl weit über 30 Millionen Fass Rohöl kurz vor dem Anlanden in den USA, was die bereits sehr knappen Lagerkapazitäten in Nordamerika noch weiter schmälern würde. Ölproduzenten in Nordamerika sehen sich derzeit also gleich zwei Problemen gegenüber: Zum einen, ihr Öl noch irgendwie zu akzeptablen Preisen zu verkaufen. Zum anderen, das geförderte Öl bis zur Lieferung zwischenzulagern.
Während man in der Politik in Texas und anderswo noch debattiert, ob und wie man Ölproduzenten zur Drosselung ihrer Produktion überreden oder zwingen sollte, dürfte die in diesem Fall überaus sichtbare Hand des Marktes das Problem wohl sehr viel schneller regeln. Gleichwohl handelt es sich in dieser Schärfe um ein zeitlich und regional begrenztes Phänomen. Die Nordseesorte Brent etwa dürfte aufgrund einer völlig anderen Marktstruktur und ganz anderer technischer Gegebenheiten kaum in solche Schwierigkeiten geraten.
Insbesondere stellen sich die Liefer- und Lagerprobleme dort bei weitem nicht so dramatisch. Brent wird vom fallenden US-Ölpreis aber natürlich auch mit nach unten gezogen.
Langfristige Auswirkungen auf die Energiemärkte
Die jüngsten Ereignisse dürften Produktionsstilllegungen in den USA weiter beschleunigen. Das gilt speziell für die Schieferölbranche, die schon vor Corona mit großen wirtschaftlichen Problemen kämpfte und in der etlichen Unternehmen die Pleite droht. Das mittel- bis langfristige Bild auf den globalen Ölmärkten wird von den aktuellen Preisturbulenzen in den USA aber recht wenig beeinflusst werden.
Graduelle Aufhebungen der Lockdowns in Europa, Asien und Amerika, eine weltwirtschaftliche Belebung sowie die vereinbarten Förderkürzungen der OPEC-Plus Staaten dürften im Verlauf des zweiten Halbjahres den aktuell massiven Angebotsüberhang (rund 29 Millionen Fass pro Tag) stark abbauen. 2021 könnte dann ein spürbares Angebotsdefizit entstehen, das die Lagerbestände recht zügig reduziert. Eine Erholung der Ölpreise (Brent und WTI) auf 40-45 Dollar/Barrel im kommenden Jahr ist daher derzeit unser Basisszenario. Das gilt selbstredend unter dem Vorbehalt weiter bestehender enormer Unwägbarkeiten im Zusammenhang mit der Pandemie (Weltkonjunktur, Flugverkehr etc.).
Positiv für Erdgasproduzenten
Für die schon seit langem zumeist stark gebeutelten Erdgasproduzenten sind die Bewegungen auf den Ölmärkten sogar positiv. Denn mit dem zu erwartenden massenweisen Stilllegen von US-Schieferölproduktion wird auch der Angebotsdruck bei US-Erdgas stark reduziert.
Bei der Schieferöl-Förderung fällt sehr viel Erdgas an, das von den Schieferöl-Unternehmen meist als reines Nebenprodukt zu absoluten Ramschpreisen veräußert oder teilweise sogar ungenutzt an Ort und Stelle abgefackelt wird.
Auswirkungen auf den Raiffeisen-Energie-Aktien
Der Raiffeisen-Energie-Aktien hat ebenfalls unter den stark nachgebenden Kursen der Unternehmen in der Öl- und Energiebranche gelitten. Er ist aber in seiner Portfoliostruktur recht wenig von den Problemen der US-Ölindustrie betroffen. Aus Nachhaltigkeitsgründen vermeidet er Unternehmen mit größeren Anteilen ihres Geschäfts in der Schieferöl- bzw. Schiefergasgewinnung sowie Ölförderung aus Ölsand. Im Zuge dessen hat sich seine Portfoliostruktur im Zeitablauf deutlich gewandelt und der Anteil europäischer Unternehmen ist von einst rund 20 % auf inzwischen über 70 % gestiegen. Zudem hat das Fondsmanagement in den letzten Monaten eine relativ hohe Cash-Quote aufgebaut, was den Wertverfall des Fonds etwas abgemildert hat.
Am besten werden wohl die gut kapitalisierten, meist größeren integrierten Öl- und Gasunternehmen durch diese Krise kommen. Sie dürften zudem die eine oder andere sehr günstige Akquisition von attraktiven Assets und von kleineren, weniger finanzstarken Unternehmen tätigen können. Selbst die Aktien der großen, gut kapitalisierten Energiewerte handeln dabei derzeit meist zu sehr günstigen Kursen, die sehr viel an Negativem eingepreist haben und langfristig gutes Ertragspotenzial bieten. Sie dürften Investoren derzeit die aussichtsreichsten Möglichkeiten bieten, von den derzeitigen Verwerfungen auf den Öl- und Gasmärkten langfristig zu profitieren. Selbstverständlich bestehen aber auch nach dem Kursverfall der letzten Jahre weitere Abwärtsrisiken. Das gilt vor allem dann, wenn die Weltwirtschaft noch weiter abrutscht und sich danach nur sehr langsam erholen sollte. Das Risiko-Ertragsprofil im Energiesektor war aber schon lange nicht mehr so günstig wie derzeit.
Der ETF, der den US-Ölmarkt sprengen könnte
Der Exchanged Traded Fund (kurz: ETF, ein börsengehandelter Fonds) USO (United States Oil Fund) soll eigentlich den US-Ölmarkt „abbilden“ und es Anlegern ermöglichen, an dessen Preisbewegungen zu partizipieren. Inzwischen ist er jedoch selbst ein sehr gewichtiger Player im US-Ölmarkt geworden. Wie das? Durch gewaltiges spekulatives Interesse! Rund 5 Mrd. Dollar flossen seit Jahresbeginn neu in diesen ETF, das meiste davon in den letzten Wochen. Das ist ein Vielfaches des langjährigen durchschnittlichen Kaufinteresses.
Offenbar wollten sehr viele Anleger von einer vermuteten baldigen starken Erholung des Ölpreises profitieren. Nach dem Motto: Was besonders tief gefallen ist, wird entsprechend kräftig wieder steigen. Bedauerlicherweise für all jene: USO ist ein denkbar ungeeignetes Instrument dafür, wie wir gleich sehen werden. Und besonders verheerend wirkt dabei die Logik von ETFs: Fließt netto Geld in den ETF, dann kreiert die Fondsgesellschaft augenblicklich neue ETF-Anteile. Das Geld, das im Gegenzug hineinkommt, MUSS umgehend im zugrunde liegenden Markt investiert werden, damit der Fonds auch wirklich für alle seine Anleger die Marktbewegungen 1:1 abbilden kann. Je mehr Nachfrage nach USO-Anteilen, umso mehr Öl-Futures kauft der ETF also postwendend im Markt. Und da der aktuelle und der nächstfolgende Verfallsmonat die liquidesten Märkte sind, kauft er vor allem die Futures für diese Verfallsmonate. Dem Vernehmen nach hält USO inzwischen bis zu 25-30 % des gesamten ausstehenden Volumens im demnächst auslaufenden Juni-WTI-Öl-Future.
Das Problem: Der ETF muss ALLE diese Positionen in den kommenden Wochen wieder verkaufen und in künftige Kontraktmonate rollen, denn er ist nicht dafür konzipiert, das Öl physisch abzunehmen. Beim „Rollen“ würde er die Juni-Kontrakte verkaufen, die er hält, und gleichzeitig beispielsweise den Juli- oder den August-Kontrakt kaufen. Einen Monat später wiederholt sich das Ganze entsprechend usw. Im Normalfall ist der Ölmarkt sehr liquide und die bald verfallenden Kontrakte handeln mit nur geringen Preisdifferenzen zu den unmittelbar folgenden Kontraktmonaten, so dass dieses Rollen relativ problemlos möglich ist. Aber nicht derzeit.
Durch den massiven, abrupten Nachfrageschock und die begrenzten Lagerkapazitäten im Zuge der Coronavirus-Pandemie handeln Öl-Kontrakte mit baldigem Verfall zu sehr viel niedrigeren Preisen als die längerfristigen Kontrakte. Ein Phänomen, das als Contango bezeichnet wird. Gerade die Preisdifferenzen zwischen den beiden unmittelbar nächsten Kontrakten sind derzeit außergewöhnlich hoch und betrugen in den letzten Wochen oft um die 10 bis 15 Dollar, also zwischen 30 % und 50 % des aktuellen Ölpreises. Beim Rollen des Futures fallen aktuell daher extrem hohe Verluste an: Der ETF muss für den nächstfälligen Future sehr viel mehr bezahlen, als er für den alten, bald auslaufenden bekommt. Das ist Geld, das er kaum jemals wieder „zurückverdienen“ kann.
Und da zugleich jeder andere Marktteilnehmer weiß, dass hier jemand auf Gedeih und Verderb eine große Menge an Öl-Futures loswerden muss, hat USO umso schlechtere Karten. Mit den beispiellosen Marktbewegungen vom 20.04.2020 ist ein gravierendes und vorher kaum denkbares Problem hinzugekommen: USO könnte sogar bankrott gehen. Denn rutscht auch der Juni-Kontrakt tief ins Minus, hätte USO möglicherweise einen negativen Vermögenswert. (Er hat rund 40 % seines Kapitals derzeit im Juni-Kontrakt investiert, weitere 55 % im Juli-Kontrakt). Dass der Juni-Kontrakt ebenfalls ins Minus rutscht, ist zwar eher unwahrscheinlich, aber keinesfalls unmöglich. Vor allem wenn viele Anleger ihre USO-Anteile schlagartig verkaufen, um zu retten, was zu retten ist, wirkt die umgekehrte Dynamik wie bei Mittelzuflüssen: Dann müsste der ETF auch die entsprechenden Öl-Futures schlagartig verkaufen, in einem Markt mit vielleicht zu wenigen Käufern.
Das könnte auch den Juni-Kontrakt ins Minus und den ETF durch dessen eigene Logik in den Kollaps treiben. Ähnlich extreme Ereignisse sind außerhalb des Ölmarktes zwar unwahrscheinlich, weil sich dort das Lagerproblem in dieser dramatischen Weise kaum stellen wird. Doch dürfte trotzdem eine ernsthafte Prüfung des Sinns und Unsinns von börsengehandelten Rohstoff-ETFs anstehen – Produkte, die man spätestens mit dem jetzigen Wissen wohl besser gar nicht erst zugelassen hätte. Möglicherweise wird es massive Eingriffe des Regulators geben, um eine geordnete Abwicklung des USO ETFs zu betreiben, bevor dieser den gesamten US-Ölmarkt ins Chaos stürzt.
Wie es um österreichischen Aktien derzeit bestellt ist, lesen Sie hier: Österreich, wie geht es dir?
Dies ist eine Marketingmitteilung der Raiffeisen Kapitalanlage GmbH, Mooslackengasse 12, 1190 Wien. Stand/Erstelldatum: April 2020
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